.......Hausseite von Wilfried Hüfler

Karl Bechert

Der Atomphysiker Prof. Dr. Dr. h.c. Karl Bechert (1901-1981) war hessischer SPD-Abgeordneter im Deutschen Bundestag von 1956 bis 1972, zeitweise (1960-63) Vorsitzender des Ausschusses für Atomenergie und Wasserwirtschaft. Nach seinem Ausscheiden trat er als heftiger Kritiker der Energiepolitik unter den Kanzlern Brandt und Schmidt in Erscheinung und galt bald als "Vater der Antiatombewegung". Als Mitunterzeichner des „Krefelder Appells“ stützte er auch die Friedensbewegung gegen die NATO-Nachrüstung.
Im Rahmen seiner vielfältigen bundesweiten Vortragstätigkeit unterstützte er auch im Raum Reutlingen/Tübingen die Aktionsgemeinschaft Mittelstadt und die anderen lokalen Bürgerinitiativen in ihrem Kampf gegen das vorgesehene AKW Mittelstadt.
Durch den „Prof. Bechert- Informationsdienst“ (Herbert Wiedmann, Grafenberg, und W.Hüfler, Reutlingen-Mittelstadt) ließ er zahlreiche Flugblätter, besonders als Vortragsnachschriften verbreiten, zuletzt in etwa vierteljährlichen Versendungen an fast 2000 Empfänger.

Das Archiv der 20 Versendungen des Prof. Bechert- Informationsdienstes ist noch bei mir.

Um einer möglichen Vereinnahmung des „Dissidenten“ Bechert durch die hessische SPD anlässlich seines 10. Todestages zuvorzukommen, organisierte ich am 23./24. August 1991 in der Mainzer Joh.-Gutenberg-Universität (in Zusammenarbeit mit BBU, BUND, Ökoinstitut Darmstadt und schließlich auch der lokalen SPD) ein "Prof.-Bechert-Gedenksymposion", über welches im Folgejahr eine im Eigenverlag gedruckte Dokumentation erstellt wurde.

1993 erschien unter dem Gesichtspunkt, ob Becherts Wirksamkeit nicht „unpolitisch“ gewesen sei, eine Dissertation des Politologen Ralf Kohl, Bingen („Das politische Wirken Professor Karl Becherts von 1956-1972, ...“).
Der umfangreiche Nachlass Becherts liegt beim Archiv der Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn.
Der Prof. Bechert-Infodienst ist dort nicht so lückenlos archiviert wie bei mir (vor 1977 fehlen z.B. die Belege dort.). Mein „Archiv“ soll demnächst an geeignete Institute zur Zeitgeschichte weitergegeben werden.

Aus der Broschüre „Wehrt Euch! Leistet Widerstand! – Dokumentation vom Prof.-Bechert-Gedenksymposion“ folgen hier das Inhaltsverzeichnis und mein Referat über Bechert und Gründler:

I.

Inhalt der Dokumentationvom Prof.-Bechert-Gedenksymposion

 

Vorwort des Herausgebers (Hüfler)                         

Festrede
Karl Bechert als Mensch, Wissenschaftler und Politiker

Ralf Kohl, Bingerbrück, Doktorand der politischen Wissenschaften  

 

9 Nachmittagsreferate:

 

1.) „Sicherheit atomarer Anlagen. - Warnte Prof. Bechert zu Recht?“

Lothar Hahn, Dipl.-Phys., Öko-Institut Darmstadt  

2) „Die nach wie vor ungelöste Frage der Entsorgung“

Gerhard Schmidt, Ing. grad., Öko-Institut Darmstadt           

3) „Das Strahlenrisiko. - Wieviel "Tschernobyls" darf sich die Menschheit noch leisten?“

Prof. Dr. Inge Schmitz-Feuerhake, Universität Bremen     

4) „Die neue Energiepolitik: Von der Ware "Energie" zum Energiedienstleistungskonzept“

Stephan Kohler, Niedersächsische Energie-Agentur, Hannover, Vorst.-Mitgl. des Öko-Instituts Freiburg              

5) „Änderung des Atomgesetzes. Die Forderungen Prof. Becherts – der aktuelle Stand“
Ralph Jurisch, Rechtsanwalt, Dortmund, Arbeitskreis Rechtsfragen des BUND           

(Nachtrag von Ralph Jurisch, März 1992:

„Das Novellierungsvorhaben des Bundesministers für Umwelt zum Atomgesetz:

Ansatzpunkte für die umweltpolitische Diskussion“)

6) „Ökologie und Frieden - zu Lebzeiten Becherts und danach.“

Roland Vogt, Potsdam, ehem. BBU-Vorstand, GRÜNEN-Bundesvorstand, 1983 MdB (GRÜNE)            

7) „Moral in der Politik?  Karl Bechert und Hartmut Gründler - zwei besonders hartnäckige Streiter gegen die Unwahrhaftigkeit in der Energiepolitik.“

Wilfried Hüfler, Reutlingen, Mitarbeiter im ehem. Prof. Bechert-Informationsdienst 

8) "Wehrt Euch! Leistet Widerstand!" (Prof. Bechert)  „Die Gegenseite und Formen gewaltfreien Widerstandes - vom Leserbrief über Blockaden zum Volksentscheid“

Gerda Degen, Studiendirektorin i.R., Moers           

(Anmerkung von W. Hüfler zum Stichwort "Volksgesetzgebung")  

9) „Karl Bechert in der SPD“

Ralf Kohl, Bingerbrück, Doktorand der politischen Wissenschaften  

 

Abendlicher Abschlußvortrag:

Schamanen und Ingenieure. - Zwischen Poesie und Physik.

Christoph Stählin, Schriftsteller und Liedermacher, Tübingen (jetzt Hechingen)

 

Grußworte und Auszüge aus Zuschriften zum Symposion    

Dokumentation aus der Gedenkfeier der Sozialdemokratischen Bildungs-Initiative SBI Gau-Algesheim am 1.4.91 zu Becherts 10. Todestag   

***

II.

Referat

Wilfried Hüfler, Reutlingen,
ehem. Prof. Bechert-Info-Dienst

auf dem Prof.-Bechert-Gedenk-Symposion anläßlich seines 90. Geburtsta­ges in der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz (24.8.1991)

Moral in der Politik?

Karl Bechert und Hartmut Gründler -
zwei besonders hartnäckige Streiter gegen die Unwahrhaftigkeit in der Energiepolitik.

Von vielen, die ihn kannten und durch Zuschriften auf die Einladung rea­gierten, wurde Professor Dr. Karl Bechert (1901-1981) als eine d e r mo­ralischen Instanzen hinsichtlich der Beurteilung der sogenannten friedli­chen Atomenergienutzung bezeichnet, ja er wurde als d i e moralische In­stanz innerhalb der Alternativbewegung schlechthin erlebt.

Wahrheit und Menschenwürde

Unter dem Stichwort "Moral in der Politik" spreche ich nicht in erster Li­nie über finanzielle Korruption, über Parteispendenaffären, über Intrigen, die der Bereicherung oder dem Machterhalt oder -erwerb dienen, oder was Ihnen dazu sonst noch einfallen mag, sondern ich gehe im Wesentlichen von einem Grundrecht des Bürgers, des "Polites", aus, nämlich von dem in unserer Verfassung noch nicht verbrieften und noch nicht einklagbaren Grundrecht auf Wahrheit, auf das Nichtbelogenwerden von amtlicher Sei­te.

Man hat sich zu leicht damit abgefunden, zu sagen: "Politik ist ein schmutziges Geschäft" (zu feudalen Zeiten, in vordemokratischen Zeiten, war sie das wohl auch vielerorts), aber wenn man die gesellschaftliche und politische Emanzipation des Staatsbürgers in diesem Jahrhundert ernst nimmt, seine Emanzipation zur universellen Respektierung seiner Men­schenwürde, dann darf diese Forderung kein Tabu mehr sein.

Zwei Wege zum gleichen Ziel

In meinem Referat möchte ich unter diesem Blickwinkel zwei Persönlich­keiten aus der Anti-AKW-Bewegung beleuchten, nämlich außer Prof. Dr. Karl Bechert auch einen seiner profilierten Weggenossen, Hart­mut Gründler, den Gründer des Tübinger Bundes für Um­weltschutz und dann Sprecher des Tübinger Arbeitskreises Lebensschutz e.V., Ge­waltfreie Ak­tion im Umweltschutz, zu dem ich ein persönliches Verhält­nis gewin­nen konnte und dessen Schriften ich ebenfalls dokumentiert ha­be.

Diesen beiden Männern also war die Herabminderung der Menschenwür­de durch das Ausgeliefertsein an die Lüge eine unerträgliche Gegebenheit, gegen die sie neben ihrem konkreten Ringen um die Abwendung der Atomgefahren immer wieder Sturm liefen, der eine ohne, der andere mit ausdrücklicher philosophischer Begründung.

Beide Persönlichkeiten waren - abgesehen von ihrem sie ganz verbinden­den empörten Aufbegehren gegen die Unwahrhaftigkeit in der Energiepo­litik der Regierungen Brandt-Scheel und Schmidt-Genscher - sehr ver­schieden.

Sie gehörten schon einmal verschiedenen Generationen an: Als Gründler 1977 aus dem Leben schied, war er 47 Jahre alt, Bechert war da 76.

Hier nun Bechert, der international bekannte Wissenschaftler, der die ge­sellschaftliche und politische Verantwortung des Wissenschaftlers ernst nahm, - da Gründler, der schlichte Lehrer mit dem Titel eines Magister Artium, zeitweise arbeitslos, der sich wissenschaftliche Kompetenz trotz enormer Kenntnisse nicht anmaßen mochte und nur darauf bestand, daß der gesellschaftliche Prozeß der Wahrheitsfindung zu verantwortbarem Handeln hin konsequent betrieben würde, wobei er sicher war, daß dann das Gebäude der Atomenergie zerrinnen würde "wie Butter in der Sonne".

Hier Bechert, der Autor eines grundlegenden Lehrbuchs über Atomphysik und später vieler auch in Flugblattform verbreiteter Stellungnahmen, - da Gründler, der von Tübingen aus teils an den gleichen Verteilerkreis von Umweltfreunden und von Amtsträgern der "Gegenseite" Offene Briefe und Flugblätter verbreitete - oft recht pedantisch im Stil und wohl nicht nach jedermanns Geschmack -, und der zuletzt auch einen 1977 bei Rowohlt veröffentlichten brillanten literarischen Beitrag zur Atomenergiefrage lei­stete, diesmal aus der Sicht des Philologen, des Philologen in politischer Verantwortung. ...

Hier wieder Bechert, der als Wissenschaftler immer auf Sachlichkeit und Nüchternheit bedacht war, bedacht sein mußte, und dennoch - vielleicht wohl gerade dadurch - die Zuhörer und Leser begeisterte und befeuerte, - da Gründler, der vor grelleren Tönen trotz aller sachlichen Korrektheit nicht zurückschreckte und der es in seinem Kampf als kundiger Schüler Mahatma Gandhis darauf anlegte, den Gegner im moralischen Zweikampf durch wohlkalkulierte auch spektakuläre Aktionen in die Knie zu zwin­gen, unter anderem auch durch mehrere Hungerstreiks und leider - was wohl keiner gutheißen kann - durch seine mit kühlem Kopf vorbereitete Selbstverbrennung am Buß- und Bettag 1977 während des SPD-Parteita­ges in Hamburg, wo unter der Parole "Vorrang für die Kohle" die Fortsetzung des Atomenergie-Abenteuers sanktioniert wurde.

Einig waren sich beide darin, daß Widerstand zu leisten sei und der Wi­derstand gewaltlos zu sein habe, was zu der damaligen Zeit nicht in allen Teilen der Anti-AKW-Bewegung Konsens war. Bechert gebrauchte das Wort "gewaltlos", Gründler und viele andere, z.B. Dr. Wolfgang Stern­stein, präzisierten den Begriff und verstanden fortan unter "gewaltfrei" nicht nur den vielleicht taktischen Verzicht auf Gewalt gegen Personen, sondern eine fundamental ethisch begründete Form der "Konfliktpartner­schaft", wie Gründler es nannte, in der man in vielfältigster Weise in dem Bewußtsein, selbstlos das Bessere zu vertreten, auf den oft verblüfften Menschen auf der Gegenseite zugeht, durch Blumen vielleicht sein Herz aufweicht, ihn öffnet zum Dialog, die bessere Hälfte seines Herzens her­vorlockt zu einer fruchtbaren friedlichen Auseinandersetzung, zur sachge­rechten Bewältigung des Konflikts.

Bechert setzte besonders die Autorität der Wissenschaft ein, um Resonanz zu finden und Wirkung zu haben, Gründler baute besonders auf die Auto­rität des Prinzips Wahrhaftigkeit.

Becherts "Katalog" erlebter Manipulationen

Bei Professor  B e c h e r t  nun, dem ich mich zunächst und in der Haupt­sache zuwenden möchte, zeigten sich schon in der Zeit seiner Zugehörig­keit zum Deutschen Bundestag auch in Bezug auf die moralische Frage die Motive, die später verstärkt wirksam wurden. Als Voraussetzung für eine saubere, wirklich der Demokratie dienende Politik sah Bechert eine hinreichend breite Information der Bevölkerung. Er bedauerte zum Bei­spiel die Ahnungslosigkeit der damaligen Menschen speziell hinsichtlich der Gefahren der radioaktiven Niederschläge aus den Atombombentests; ein Schutz dagegen sei illusorisch, wenn man nicht Bescheid wisse. Er prangerte aber auch 1959 sogar die Unwissenheit des Bundestagssonder­ausschusses Radioaktivität an, der die Erbgefahren ignorierte, vor denen er selbst seit Februar 1956 aufgrund der zunehmenden radioaktiven Ver­seuchung der nördlichen Hemisphäre öffentlich warnte. Er forderte auch die gründliche Unterrichtung der betreffenden Bundestagsauschüsse, wie auch die bis dahin unterbliebene Veröffentlichung eines UN-Berichts über die Wirkung der Atomwaffen. Auch die Forderung nach einer Zentrale zur Auswertung von Meßergebnissen diente dem Ziel der öffentlichen Aufklärung.

Schon damals wetterte Bechert gegen die Tendenz zur Bagatellisierung, die bezüglich der Folgen der Atomwaffentests ungeachtet des Sachver­standes vieler Wissenschaftler üblich war, des Sachverstandes, wie er sich z.B. auf Initiative des Nobelpreisträgers Linus Pauling in der sogenannten Göttinger Erklärung niederschlug, durchaus nicht etwa, um "Ängste zu schüren", sondern aus Sorge.

Auch die Vertuschung durch Betreiber und Behörden, die er noch als "Geheimniskrämerei" bezeichnete, war Bechert damals schon ein Dorn im Auge, wenn es z.B. einem qualifizierten Beamten verboten wurde, seine Meßergebnisse über die Radioaktivität von Luft und Boden zu veröffentli­chen. Unabhängigkeit von Studienkommissionen war ihm damals schon ein Anliegen, um der Wahrheitsfindung näherzukommen.

Um den Katalog der von Bechert gegeißelten moralisch fragwürdigen Vorgehensweisen beim Ausbau der Atomenergienutzung zusammenzu­stellen, braucht man sich eigentlich nur zu fragen, was eine Regierung, die sich samt Opposition erklärtermaßen der Atomtechnologie verschrie­ben hat, am zweckmäßigsten tut, um etwas durchzusetzen, was sie und der sie umgebende "Filz" wollen, was aber das Volk eigentlich nicht wollen kann.

Nun, sie übt sich, sekundiert von einem erstaunlich großen unfrei wirken­den Teil der freien Presse, im Verzicht auf Aufklärung, die eigentlich ei­ne der Grundsäulen der Demokratie ist; an deren Stelle tritt dann in den Medien verstärkt diejenige über Belangloses, wie Bundesliga-Ergebnisse, Lottozahlen und das weißeste Waschpulver - die wichtigen Themen rührt man kaum so an, daß das Interesse der reizüberfluteten Durchschnittsbür­ger geweckt werden kann. Demgegenüber hätte im Sinne Becherts eine wirksame Aufklärung der Bevölkerung zu stehen, bis hin zur Läuterung des "Sachverstandes" in Ministerien und anderen Behörden. Eine morali­sche Politik würde auf „Glasnost“ bauen.

Oder die Regierung und die Betreiber klären zwar auf, aber nur halb. Die andere Hälfte der Halbwahrheit fällt dem Verschweigen zum Opfer, z.B. die Tatsache, daß es eine gefährliche Anreicherung radioaktiver Stoffe in der Nahrungskette gibt, oder daß Erbschäden gesetzt sind, wenn auch lo­gischerweise noch nicht erkennbar.

Ist nun doch etwas ruchbar geworden, so können Sachwalter einer unlau­teren Politik dem mit Verharmlosung und Verniedlichung begegnen, et­wa mit der Formulierung "Es wurde niemand geschädigt" ("zu keiner Zeit"), oder vorgreifend kann man die Unregelmäßigkeiten vertuschen, oder man pocht auf grundsätzliche Geheimhaltung, wie bei der Nichtver­öffentlichung von Emissionswerten durch Landesregierungen, oder man versucht es mit der Verheimlichung von "Störfällen".

Man kann aber auch bei solch einer Durchsetzungsstrategie offensiv vor­gehen und bewußt mit Lüge oder Täuschung arbeiten; Bechert sprach einmal von "Hauffs Märchen", wobei Falschaussagen von Behörden, wie auch Bechert meinte, sicher noch schlimmer sind als die der Betreiber [1].

Eine besonders infame Art der Täuschung ist die besonders von Gründler gegeißelte Manipulation der Wörter selbst, was dieser in seinem Büchlein mit dem Begriff "Zwiedenken" charakterisiert. (Auch Bechert wehrte sich dagegen, daß man "Störfälle" hört, wenn man selbst "Unfälle" sagen würde, und daß man von einer "Energielücke" spricht, die natürlich von einem ordnungsliebenden Menschen zu schließen ist, während eine zu wollende neue politische Einstellung zu Wachstum und Verschwendung diesem Begriff den Boden entzöge.)

Eine weitere Form der Durchsetzung der Obrigkeit ist neben der intellek­tuellen Täuschung die manipulative Täuschung im Handeln. Wenn Be­treiber in ihrem Geschäftsinteresse Erörterungstermine usw. manipulie­ren, ist das noch irgendwie begreiflich, wenn aber in der offensichtlichen Verfilzung der Industrie und ihrer Banken mit den Regierungen und ei­nem Teil der Presse solche Manipulationen öffentlich und offiziell gedeckt werden, wenn Erörterungstermine skandalös ablaufen, Einsprüche über­gangen werden, unabhängige Sachverständige nicht zugelassen werden oder wenn Landesregierungen sogar versuchen, Gerichte zu beeinflus­sen (so geschehen in Bayern), dann stellt sich erneut die Frage nach der Moral in der Politik.

Für all dies hat Bechert immer wieder eine Fülle von weiteren Beispielen aufgeführt, und natürlich Gründler auch.

Hartmut Gründler:
ein Leben für die Wahrheit, ein Tod gegen die Lüge

H a r t m u t  G r ü n d l e r nun, den ich nur noch mit wenigen Fakten skizzieren will, fühlte sich ebenfalls dem Prinzip der wahrheitsgemäßen Information verpflichtet: So wie er z.B. von Kanzler Schmidt forderte, "reinen Wein einzuschenken", sorgte er selbst für Durchsichtig­keit. So legte er immer wieder seinen verteilten Offenen Briefen eine Liste der angeschriebenen Funktionsträger bei, "damit jeder weiß, daß je­der weiß".

Ein Opfer der Vertuschung wurde er selber nach seinem Tode: Wenn nicht gewisse Pressorgane seine Tat als die eines Irregeleiteten zu verun­glimpfen versuchten, folgte im allgemeinen das große Verschweigen. So tauchte z.B., als der SPIEGEL einige Monate später einen Bericht über verschiedene Selbstverbrennungen herausgab, der Name Hartmut Gründ­ler dort nicht auf. Jeglicher Bericht über das schreckliche Gesche­hen, das vom Spiegelhochhaus aus beobachtet werden konnte, unterblieb. Auch die Presseorgane, die über Gründlers Selbstverbrennung berichteten, verheimlichten tunlichst - weil das natürlich unangenehme Folgen für die SPD gehabt hätte - Gründlers politisches Testament an den Bundeskanz­ler, das er den Redaktionen zuvor selbst schon mit dem Hinweis auf seine bevorstehende Tat zugestellt hatte. Um dem Freitod weiter an politischem Gewicht zu nehmen, fanden die Behörden Mittel und Wege, die beabsich­tigte öffentlich begleitete Sargüberführung nach Tübingen zu verhindern.

Auch zu Lebzeiten sah sich Gründler als Objekt von Manipulationen. Er hat, ähnlich wie Bechert, zunächst an den von Matthöfer betriebenen "Bürgerdialog Kernenergie" geglaubt und sich vertrauensvoll darauf ein­gelassen, bis er schließlich aus der Nürnberger Reaktortagung erfuhr, daß das ganze nur ein Bluff war, daß die Regierung von der sogenannten "Zweischienentheorie" ausging, die besagte, daß man auf der einen Schie­ne mit den Bürgern spräche, um ihren Widerstand abflauen zu lassen, an­dererseits langfristig auf die unbeirrte Fortführung des Atomprogramms setzte.

Durch einen Hungerstreik zu Weihnachten 1976 wollte Gründler auf den Bundeskanzler Helmut Schmidt dahingehend einwirken, daß er zu ganz bestimmten Fragen der Atommüllentsorgung in seiner Regierungserklä­rung Stellung nähme. Gründler glaubte dann, seinen diesmal unbefristeten Hungerstreik abbrechen zu können, nachdem die Kanzleramtsministerin Marie Schlei ihm zugesichert hatte, daß Kanzler Schmidt in seiner Regie­rungserklärung auf die fraglichen Punkte eingehen werde. Die unweih­nachtliche Peinlichkeit eines verhungerten oder zwangsernährten Tübin­ger Lehrers blieb der deutschen Öffentlichkeit erspart. Der wohlmeinend gutgläubige Gründler sah sich aber an jenem 16. Dezember 1976 wieder einmal als Opfer einer Täuschung, einer Täuschung durch einen Mann, der in seinem Buch "Als Christ in politischer Entscheidung" große Worte über die bürgerliche Mitverantwortung gesprochen hatte.

Und erst spät gingen ihm, als er auf seine Offenen Briefe an Matthöfer und den Kanzler keine Antwort bekam, die Augen auf, als er erfuhr, daß sich der Angeschriebene jeweils hinter der anmaßenden Gepflogenheit der Obrigkeit verschanzte, auf Offene Briefe nicht zu reagieren. Als Gründler versuchte, der Nichtbeantwortung durch eine Petition entgegenzuwirken, wurde diese abgewiesen, er selbst wurde auf den langwierigen und kost­spieligen Weg durch die Instanzen verwiesen.

Gründler glaubte an Treu und Glauben. Er war überzeugt, ein Eid sei ein Eid, bis ihm eröffnet wurde, daß der Amtseid eines Ministers und eines Bundeskanzlers nicht die gleichen rechtlichen Folgen hat wie ein bürgerli­cher Eid, daß also offensichtlich die Formel "Dem Wohle des Volkes zu dienen" mit einer reservatio mentis gesprochen werden darf.

Das Ringen um eine auf Moral gegründete Politik

In dem Auswahlprozeß, der zu Trägern politischer Mandate und Funktio­nen führt, sind am ehesten Vorzüge wie Qualifikation, Kreativität, Charis­ma, Parteiverbundenheit und vielleicht auch die Bereitschaft zum Ein­kommensverzicht u. dgl. äußerlich festzumachen; eine überdurchschnitt­liche moralische Integrität der Kandidaten ist dagegen weniger leicht zu garantieren und stellt leider oft auch bei den Wahlgremien keinen eige­nen Wert dar. Wenn also unter den Repräsentanten des Volkes keine be­sondere Sensibilität bezüglich des Moralischen vorauszusetzen ist und an­dererseits, wie gesagt, eine moralisch fragwürdige Politik die Menschen­würde der Regierten verletzen würde, bedarf es anderer Mechanismen, um Unmoralisches aus der Politik fernzuhalten. Dabei auf eine rechtzeiti­ge geistig-moralische Erneuerung zu hoffen, ist angesichts unserer zivi­lisatorischen Gegebenheiten illusorisch. Es gibt jedoch einerseits als mög­liches Korrektiv immerhin die Medien, die Vierte Gewalt, die als Kon­trollinstanz weniger auf die private Moral zu achten als vielmehr scho­nungslos öffentliche Unlauterkeiten anzuprangern haben, wie z.B. Wäh­lertäuschungen, oder Meineide, Bestechungen, Parteispendenaffären und ähnliche politische "Kavaliersdelikte"; andererseits müßte - wohl auf In­itiative aus dem Volk! - die dem Geist des Grundgesetzes zuwider laufen­de selbstherrliche Machtvollkommenheit der Parteien beschnitten wer­den: Ombudsmänner mit klaren Befugnissen, z.B. zur Billigung von Gutachtern, zur Kontrolle der Petitionsausschüsse usw., müßten unmittel­bare, parteiunabhängige Kontrolle durch Volksinitiativen ermöglichen, und eine im Ergebnis moralischere Politik würde sich allein schon da­durch einstellen, wenn es gelänge, durch Aktivierung des fundamentalen Grundgesetzartikels 20,2 Bonner Entscheidungen unter den Vorbehalt von Plebisziten zu stellen, wenn also der Staatsbürger, der eigentliche Souverän, sich wieder in seiner vollen Mündigkeit erleben kann.

Kürzlich wurden wir an Preußens Gloria erinnert. Der in Potsdam mit Pomp beigesetzte Friedrich der "Große" war der Urenkel des Großen Kur­fürsten. Von letzterem trennen uns natürlich über dreihundert Jahre. Aber wieviel trennt uns Demokraten des 20. Jahrhunderts innerlich von ihm? Einer seiner Aussprüche lautete beispielsweise:

"Es ist dem Untertan untersagt, den Maßstab seiner beschränkten Einsicht an die Handlungen der Obrigkeit anzulegen."

 

Außer den beiden verstorbenen Persönlichkeiten, die hier beleuchtet wur­den, dem gestern vor 90 Jahren geborenen Karl Bechert und dem Einzel­kämpfer Hartmut Gründler, der dessen Weg zum gleichen Ziel kreuzte (so ließ z.B. Bechert Ende Oktober 1977 Gründlers letzten großen Appell durch seinen Reutlinger Info-Dienst an seinen Verteilerkreis von über 1500 Empfängern versenden) - außer diesen beiden Persönlichkeiten kennt unser Land zum Glück viele andere Männer und Frauen, die den Kampf um eine auf Moral gegründete Politik nicht aufgeben, eine Politik, die nicht nur das Wohl des Bürgers im Auge hat, sondern eine Politik, für die das Wort Menschenwürde mehr als nur ein Lippenbekenntnis ist.

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Biographische Notiz:

Wilfried Hüfler, geb. 1933 in Mülheim, Studium der Alt- und Neuphilologie in Köln und Tübin­gen, 1965 Waldorflehrer, ab 1975 für die "Aktionsgemeinschaft Mittelstadt gegen Atomkraftwer­ke" im BBU u.a., ab 1976 Mitarbeiter im Prof.-Bechert-Info-Dienst (Herbert Wiedmann, Grafen­berg, Kreis Reutlingen), von der AUD zu den GRÜ­NEN, 1980 Landtagskandidat, ab 1983 Enga­gement für Direkte Demokra­tie (Volksbegehren für den Frieden BW, 1989 „Aktion Volks­entscheid", 1990 Bundestagseinzelkandidatur für "DER SPRINGENDE PUNKT"), ab 2002 aktiv bei Attac (Tübingen, Reutlingen, Nürtingen, Attac Filder).

 



[1] Volker Hauff (SPD) war seinerzeit Bundesforschungsminister